DARK ROOM – Ein Filmriss im Dunkeln

Damit man versteht, welches Leben an diesem Abend vertont wurde, möchte ich den Text aus Wikipedia übernehmen, denn der sagt alles, was gesagt werden könnte…

Das Leben der Renate Müller:

„Renate Müller nahm in München während der Schulzeit Gesangsunterricht und, nach Umzug mit ihren Eltern 1924, in Berlin Schauspielunterricht an der Max-Reinhardt-Schule. 1925 gab sie ihr Debüt am Harzer Bergtheater Thale im Ein Sommernachtstraum. Danach agierte sie auch in Berlin am Lessing-Theater, an den Barnowsky-Bühnen und am Staatstheater. Der Stummfilm entdeckte sie 1928 und sie erhielt dort mehrere große Rollen. Doch ihre gesanglich gebildete Stimme kam erst so richtig durch den Tonfilm zum Tragen. Mit Liebling der Götter (1930) über Viktor und Viktoria (1933) und Allotria (1936) wurde sie zu einem Markenzeichen des deutschen Films. Darüber hinaus avancierte das von ihr gesungene Lied Ich bin ja heut so glücklich aus Die Privatsekretärin (1931) zu einem überaus populären Schlager.

Am 7. Oktober 1937 verstarb sie unerwartet in einem Berliner Krankenhaus, nachdem sie vierzehn Tage zuvor aus dem ersten Stockwerk ihrer Villa gestürzt war. Ihr Tod gab Anlass zu vielen Spekulationen. Sicher ist, dass der damalige Propagandaminister Goebbels sie mit Hitler verkuppeln wollte und sie kein Interesse zeigte. Seither wurde ihre künstlerische Arbeit systematisch behindert. Aufgrund ihrer Popularität bekam sie 1936 noch zweimal eine Hauptrolle in den unpolitischen Filmen Eskapade und Allotria. Zum Schluss wurde sie 1936 gezwungen, in dem Propagandafilm Togger mitzuwirken. Sie hatte zu dieser Zeit auch eine Beziehung zu dem jüdischen, nach Paris emigrierten Bankierssohn Georg Deutsch, was ihre Situation nicht verbesserte. Die Gestapo ließ die Schauspielerin mittlerweile ständig beobachten. Müller verfiel dem Alkohol, nahm Drogen und litt zeitweilig an Epilepsie. Laut Aussage ihrer Freundin, der Schauspielerin Sybille Schmitz, die Müller bewusstlos und mit einer Kopfverletzung auf der Terrasse fand, war Müller betrunken aus dem ersten Stock ihrer Villa in Berlin-Dahlem gestürzt. Gerüchte, sie habe sich aus dem Fenster gestürzt oder sie sei von der Gestapo umgebracht worden, erwiesen sich als falsch. Müller wurde auf dem Parkfriedhof Lichterfelde in Berlin, Thunerplatz 2–4, beigesetzt. Schauspielkollegen war es verboten, an der Trauerfeier teilzunehmen, die von der Gestapo gefilmt wurde. Der gesamte Besitz der Schauspielerin wurde enteignet und öffentlich versteigert, obwohl die Eltern und die Schwester noch lebten.

Ihr Leben wurde mit der Schauspielerin Ruth Leuwerik unter dem Titel Liebling der Götter (1960) verfilmt. Diesen Film suchte die Familie Müller erfolglos per Klage zu verhindern, da die Handlung von den historischen Tatsachen, ihr Tod wurde u. a. als Suizid dargestellt, abwich.“

Quelle: Wikipedia

Schwerer Stoff? Ja, definitiv.

Wie könnte man solch eine tragische Lebensgeschichte also umsetzen, um sie einem Publikum nahe zu bringen, ohne den moralischen Zeigefinger zu schwingen oder zu depressiv daher zu kommen? Diese Frage mag sich vielleicht nicht jeder stellen, doch war es genau das, was mich beschäftigte.

Die Antwort darauf ist relativ simpel: Mit zwei hervorragenden Schauspielern und einem begnadeten Orchester!

Doch beginnen wir am Anfang.

Sämtliche Vorstellungen waren komplett ausgebucht und wir hatten Glück, noch zwei Karten für die Samstagabendvorstellung ergattern zu können. Nachdem wir in der Aula der Tellkampf-Schule in Hannover (direkt am Maschsee) angekommen waren, bekamen wir an der Kasse zwei Tickets mit denen wir später ein Säckchen erhalten sollten, welches für die Vorstellung benötigt wurde.

Die Kasse verdiente auch nicht wirklich diesen Namen, denn die ganze Sache stand unter der Maxime „Zahl was Du kannst!“, einer Möglichkeit für Menschen mit ganz kleinem Geldbeutel Kunst zu erleben, ohne sich dafür finanziell verausgaben zu müssen. Der Grundgedanke hinter diesem sehr löblichen Konzept ist, das man am Ende der Vorstellung in das Säckchen so viel Geld legt, wie man erübrigen kann, anonym, und es dann einfach auf seinem Platz liegen lässt. Der Richtwert wurde bei 20,- € pro Person angegeben und so ist es dann die Mischkalkulation, die es ausmacht: Der Eine gibt mehr als das, der Andere eben weniger.

Und da ich schon vom Säckchen rede: Der Inhalt bestand aus einer Schlafmaske, denn es war ja eine „Dark Room“-Vorstellung und anderen Dingen, auf die ich später etwas näher eingehen möchte.

Nachdem man also die Schlafmaske aus dem Säckchen genommen hatte, wurde man bereits im Vorraum des Saales aufgefordert sich diese aufzusetzen und Mitglieder des Orchesters brachten die Gäste in kleinen Polonaisereihen in den Saal und platzierten sie dort. Im Saal befanden sich Feldbetten, Liegestühle und normale Stühle, auf denen man die nächsten zwei Stunden in vollkommener Dunkelheit verbringen sollte um sich also nur dem gehörten zu widmen und nicht von der Optik ablenkt zu werden. Decken standen ebenfalls zur Verfügung, welche als Kopfkissen oder eben als wärmende Decke benutzt werden konnten. Doch war der Saal so gut beheizt, das ich auf meine Decke verzichten konnte, im Liegestuhl, welcher unerwartet bequem war und mir die zwei Stunden, die ich auf ihm verbrachte, angenehm sitzend gestaltete.

Alles begann mit einem knacken und kratzen, wie von einer alten Platte, und führte das Kopfkino somit auch direkt in die Zeit ein, in der alles spielte. Das Orchester im Treppenhaus begann mit seinem Spiel und nach einer kurzen Einleitung startete auch der Sprecherteil. Christin Marquitan, als Renate Müller, und Charles Rettinghaus, welcher sämtliche Männerparts übernahm, lieferten von Anfang an eine großartige Leistung ab. Vom jungen und naiven Mädchen bis hin zur gebrochenen Frau, welche das Leben gezeichnet hatte – jede kleinste Nuance der Renate Müller wurde von Christin Marquitan teilweise herzzerreißend ausgespielt und auch wenn ich kein Bild eines passenden Gesichts vor Augen hatte, so trat mir Renate Müller doch recht schnell nah. Charles Rettinghaus hatte den schwierigeren Part, denn in Renate Müllers Leben waren viele Männer, welche von ihm nicht interpretiert wurden, sondern einfach nur minimal stimmlich variiert. Besonders positiv empfand ich, dass er Adolf Hitler nicht überzogen darstellte, sondern einfach nur dessen Worte auf den Zuhörer wirken ließ. So gelang es dieser eigentlich sehr angenehmen Stimme Unwohlsein zu erzeugen, welche sie auch in der Rolle von Joseph Göbbels beibehielt.

Immer wieder wechselten sich das Spiel von Orchester und Sprechern ab, indem das Orchester das gerade eben vorgespielte mit passenden Stücken emotional vertiefte und in die nächste Szene überleitete. Doch nicht nur musikalisch war das Orchester aktiv. Es produzierte Geräusche vor Ort und diente auch als Nebendarsteller in Massenszene oder schnellen zeitlichen Abfolgen. Dies geschah indem sich seine Mitglieder zwischen den Reihen der Gäste bewegte, einmal sogar mit seinen Instrumenten – ein 3D-Effekt, welchen man in dieser Art selten geboten bekommt und der es in sich hat.

Am Ende, nachdem Charles Rettinghaus in einem Briefzitat die Gäste bat die Masken abzusetzen, wurde auf einer gigantischen Gardine vor der Bühne ein paar kurze Filmschnippsel aus Renate Müllers Werk gezeigt, während man dahinter die Sprecher und das Orchester sehen konnte.

Das sehr intensive Erlebnis wurde vom Publikum mit tosendem Beifall bedacht und man nahm sich am Ende die Zeit alles wieder ein wenig „aufzuheitern“ – denn die Gedanken kreisten bei mir nach all dem gehörten um die Fakten, was die Nazis damals alles zerstörten und wie sie bis heute noch in den Köpfen der neuen Rechstgesinnten vorhanden sind.

Die Zugabe bestand aus Christin Marquitans Vortrag des Liedes „Liebe ist ein Geheimnis“, welches von Renate Müller damals auf Schallplatte gebannt wurde.

Auch wenn der Stoff schwer war, so wurde er durch die Spielfreude der Künstler so transportiert, das man auch in den dunkleren Episoden des Stückes Gefallen an der Darbietung finden konnte.

Wir verließen die Vorstellung mit einer Menge Nachhall im Kopf und einer anschließenden Diskussion darüber, wie schrecklich doch diese Zeit war und wie Unbarmherzig doch der Mensch in seinem Bestreben nach Macht sein kann, welche auch nach der Autofahrt zuhause weitergeführt wurde.

Bleibt zu hoffen, dass das Stück auch nach dieser Spielzeit noch mehrfach aufgeführt werden wird, vielleicht auch in einer Tournee durch Deutschland, denn die Botschaft ist eine, welche mehr als nur die Hannoveraner hören und erleben sollten.

Und jetzt noch etwas zum Inhalt des Säckchens: Darin, neben der Schlafmaske, konnte man ein Programm finden, sowie einen Briefumschlag – wie der, den Renate Müller auf dem Sterbebett ihrem Vater gab. Darin befand sich eine Postkarte und eine kleine Glasträne, denn diese stellt wohl in Renate Müllers Leben eine Konstante dar, welche in der Geschichte immer wieder erwähnt wurde.

Thomas Rippert
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